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Mal laute, mal leise Gedanken einer Robbe. Mal mit Herz, mal mit Hass. Aber oft mit Verstand.

Wie ich das Visaverfahren an der Deutschen Botschaft in der Ukraine geändert habe

21 February 2021

Vorgeschichte

Die eigene Ehefrau nach Deutschland zu holen, das klingt erst einmal relativ einfach. Ist es im Endeffekt auch, da dieser bürokratische Prozess penibel durchgeplant ist und man sich eigentlich nur durch Formulare kämpfen muss. Für viele Menschen stellt dies ein Problem dar, ich selbst fand den Vorgang relativ unspektakulär - sofern man sich mit Bürokratie und Formularen auskennt.

Neben unzähligen Unterlagen und Nachweisen bedarf es noch einem ganz besonderen Zusatz, damit die Beantragung des Visums gelingt: Glück.

“Warum Glück?” höre ich den geneigten Leser jetzt fragen. Wie kann etwas so essentielles von Glück abhängen? Das hing damit zusammen, wie man - zumindest in der Ukraine - sein Visum bei der Deutschen Botschaft in Kiew beantragen muss.

Dank Corona waren die ohnehin schon knapp besetzten Termine nur noch online buchbar. Hierbei wurde auf ein recht fragwürdiges Konzept gesetzt, da es keine Warteliste gab.

Buchungssystem für Visa-Anträge

Stattdessen wurden die Termine zu unregelmäßigen Zeitpunkten einfach als “buchbar” ausgeschrieben und man muss sich dann höllisch beeilen, um rechtzeitig einen passenden Termin buchen zu können. Einen “Warenkorb” wie man es aus Online-Ticketshops kennt, gab es nicht. Wenn jemand anderes schneller seine Kontaktdaten eintragen konnte, ging der Termin an ihn.

Die technische Herangehensweise

Das Problem

Dazu kam, dass nicht klar war, wann Termine überhaupt veröffentlicht werden. Auf der Webseite war nur lapidar von “regelmäßig” die Rede. Somit musste jeder, der ein Visum beantragen wollte, rund-um-die-Uhr die Webseite aktualisieren und schauen, ob ein neuer Termin verfügbar war. Klingt wenig durchdacht, aber das konnte ich zu diesem Zeitpunkt auch nicht ändern. Also saßen sowohl meine Ehefrau als auch ich täglich mehrere Stunden am Handy und schauten, ob es Termine gab.

Keine Termine verfügbar, Pech gehabt

Ich erinnere mich daran, dass wir abends gegen 22 Uhr einen freien Termin gefunden hatten. Da wir zeitgleich prüfen mussten, ob der Termin für uns infrage kommt - waren wir zu langsam und der Termin war so schnell verschwunden wie er zuvor aufgetaucht war.

Die Lösung

Das war der Moment, in dem ich mir dachte, dass es eine technische Lösung bedarf. Ich will meine teure Lebenszeit nicht mit der Webseite des Auswärtigen Amts verschwenden - und stattdessen einfach eine Info erhalten, sobald es einen Termin gibt.

Jetzt bin ich leider kein Programmierer, sodass mich diese Aufgabe erst einmal vor ein Problem stellte. Jedoch nicht lange, denn ich habe die Lösung gefunden: Das Browser Automation Studio ist perfekt für solche Tasks, da man rasch Automatisierungen für Webanwendungen bauen kann.

Selbst ohne Programmierfähigkeiten kann man alle wichtigen Aktivitäten (Webseite aufrufen, Scrollen, Klicken, Tippen, etc. pp) simulieren und Ablaufketten erstellen.

Das Browser Automation Studio ist ein sehr mächtiges (und kostenfreies) Tool

Nachdem ich mich initial in das Browser Automation Studio eingearbeitet hatte, konnte ich den Vorgang der Prüfung auf neue Termine bereits erfolgreich teil-automatisieren. Nur leider war sich das Auswärtige Amt, welches das Buchungssystem bereitstellt, über diese Möglichkeit im Klaren und hat eine Captcha-Abfrage eingebaut. Clever!

Sind Sie eine Maschine?

Da Captchas absichtlich geschaltet werden, um Automatisierung zu verhindern … ist es wenig verwunderlich, dass sich auch eine Anti-Captcha-Industrie entwickelt hat. Mithilfe von anti-captcha.com konnte ich die Captchas des Buchungssystems automatisiert lösen (lassen).

Dabei wird das Captcha kopiert und die Bilddatei an den Server von anti-captcha gesendet. Dort wird das Bild einem (freiwilligen) Mitarbeiter präsentiert, der die Zeichen abtippt und die Lösung zurückschickt. Anschließend ruft das Browser Automation Studio die Lösung ab und kann diese dann eintragen. Für das automatisierte Lösen zahlt man als Endkunde rund 0,0005 € pro Captcha.

Das automatisierte Lösen von Captchas kostet fast nichts

Auf diese Weise konnte ich 1700 Captchas für weniger als 1,20 € lösen lassen und mich damit in die Lage versetzen, dass meine Automatisierung nicht mehr an diesem einfachen Schutz scheiterte.

Es dauerte rund 6 Sekunden, bis die Lösung zurückgeliefert wurde

Das wundervolle an dieser Lösung ist, dass alle Komponenten bereits im Browser Automation Studio eingebaut sind. Die Implemtierung beschränkt sich somit lediglich auf das Aufladen des Kontos bei anti-captcha mit einigen wenigen Dollar. In meinem Fall waren es 5 $ … von denen zum aktuellen Zeitpunkt dieses Beitrags immer noch 2 $ übrig sind.

Die Automatisierung

Nachdem ich diese Lösung gefunden hatte, konnte ich mein Script weiter ausbauen und bin letztendlich bei folgender Funktionalität angelangt:

Während des Testens war der Bot zumeist recht gesprächig

  1. Die Webseite der Deutschen Botschaft wird geöffnet.
  2. Das Captcha wird gelöst.
  3. Die Lösung des Captchas wird eingetragen - falls sie falsch war, wird eine Meldung an anti-captcha gesendet, sodass der Lösungsversuch keine Gebühren kostet.
  4. Die Terminplanungsübersicht der Webseite wird auf das Muster “Es sind zur Zeit leider keine Termine verfügbar” geprüft. Wenn der Satz gefunden wird, wird der Vorgang beendet.
  5. Sofern ein Termin verfügbar ist, wird ein Screenshot erstellt und per Telegram-Bot eine Meldung an meine Ehefrau und mich gesendet.

Dieses Script wurde dann auf einer Windows-10-VM bei Hetzner platziert, sodass mein Computer nicht die ganze Zeit laufen muss. Die Kosten von ca. 5 Euro pro Monat sind verschmerzbar und so wurden alle 15 Minuten die entsprechenden Termine geprüft.

In Aktion

Die Automatisierung funktioniert wie geplant

Das fertige Resultat kann sich sehen lassen. Diese Methode konnte zwar das “Ich muss schnell Bescheid wissen”-Problem lösen, nicht jedoch verhindern, dass andere Personen die Termine dann wegschnappen. Und eine Zeitspanne, wann Termine voraussichtlich verfügbar sein werden, war damit auch nicht gegeben.

Die bürokratische Herangehensweise

Das Problem

Jetzt haben wir zwar ein Werkzeug, um bei Terminmöglichkeiten benachrichtigt zu werden - jedoch ermöglicht uns dies immer noch keine Abschätzung darüber, wann es endlich Termine geben wird. Auch ist das Programmieren eines Bots für das automatische Ausfüllen eines Termins so leider nicht möglich gewesen.

Doch andere Länder, andere Sitten: Für nur 100 Euro konnte man sich über dubiose Wege einen entsprechenden Termin registrieren. Auch wenn ich hoffe, dass es innerhalb der Deutschen Botschaft keine Korruption gibt, so bleibt doch der Gedanke, dass nicht alle Sachbearbeiter integer sind. Da ich von Bestechung nicht viel halte, schied diese Variante ersteinmal aus.

Um genauer abschätzen zu können, wann mein Programm Erfolg haben könnte, brauchte ich zuverlässigere Zahlen.

Die Lösung

In Deutschland gibt es ein effektives Werkzeug, um sich Informationen von öffentlichen Stellen besorgen zu können: Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG)

Leider kennen nur wenige diese - zugegeben recht bürokratische - Möglichkeit, um offizielle Antworten von Ämtern, Behörden oder auch Botschaften zu erhalten. Deshalb ist es umso erfreulicher, dass sich Projekte wie FragDenStaat.de genau diesem Zwecke verschrieben haben und so schnell, bequem und einfach die Möglichkeit einer Anfrage nach IFG bereitstellen.

Mit FragDenStaat.de werden Anfragen an Behörden sehr erleichtert

Die Anfrage

Um mir genauere Zahlen zu beschaffen, erstellte ich daher eine Anfrage an das Auswärtige Amt, welches für die Deutsche Botschaft in Kiew, Ukraine, zuständig ist. Da es sich um einen bürokratischen Prozess handelt, sollte man tunlichst genau beschreiben, welche Daten man anschließend erhalten möchte.

Meine Anfrage lautete wie folgt:

Sehr geehrte Damen und Herren, bitte senden Sie mir Folgendes zu:

Die vorhandene maximale Terminkapazität pro Monat (in 2020) für die Bearbeitung von Beantragungen nationaler Visa und Schengenvisa in der deutschen Botschaft in Kiew, Ukraine. Aufgeschlüsselt nach Visa-Typ und Monat.

Die aktuelle Auslastung der Terminkapazität pro Monat (in 2020) für die Bearbeitung von Beantragungen nationaler Visa und Schengenvisa in der deutschen Botschaft in Kiew, Ukraine. Aufgeschlüsselt nach Visa-Typ und Monat.

Die geplanten oder ausgeführten Maßnahmen (z.B. Umstellung des Visa-Verfahrens, schnellere Prüfungen, etc. pp.) zum Erhalt oder Ausbau der Terminkapazität in Zeiten von Covid-19, falls die Terminkapazität dahin gehend durch personelle Engpässe oder regulatorische Maßnahmen reduziert ist.

Eine Anzahl der bei Freigabe zur Buchung im Onlinesystem “Terminvergabesystem des Auswärtigen Amts” vorhandenen Termine. Aufgeschlüsselt nach den letzten 10 Freigaben im Muster: Datum der Freigabe von Terminen, Anzahl der zur Buchung stehenden Termine, Datumsbereich für diese möglichen Termine.

Man sieht recht deutlich, dass ich sehr präzise gefragt habe - auch um den Vorgang zu beschleunigen und der Behörde keine “wischiwaschi”-Antworten zu ermöglichen.

Es fallen Gebühren an

Die erste Antwort kam 2 Wochen später und zwar in Form der Information, dass diese Auskunft nicht kostenfrei erteilt werden könne - der Aufwand hierfür sei zu groß:

Manche Anfragen sind nicht kostenfrei

Die Antwort

Nachdem ich mit den Kosten einverstanden war, dauerte es noch einmal 3 Wochen und ich erhielt einen sehr langen Brief mit genau den Informationen, die ich angefragt hatte. (Das vollständige Dokument gibt es hier)

Doch am interessantesten waren nicht etwa die konkreten Zahlen, sondern die Arbeitszeit, die mein Antrag verursacht hatte. So schrieb das Auswärtige Amt:

Insgesamt hat die Bearbeitung Ihres Antrags im Auswärtigen Amt einen Zeitaufwand von 10 Minuten für Mitarbeiter/-innen des mittleren Dienstes und 210 Minuten für Mitarbeiter/-innen des gehobenen Dienstes verursacht.

Das ist eine Menge Arbeitsaufwand für so eine nervige Anfrage! Die regulären Kosten wären bei fast 160 € gewesen - jedoch sind Anfragen nach dem IFG so gestaltet, dass nicht die Gesamtkosten umgelegt werden sollen. Meine Anfrage wurde daher lediglich mit 40 € bepreist.

Irgendwas hat es bewirkt

Kurioserweise stellte die zuständige Botschaft in Kiew das Visa-System einige Tage nach der Antwort auf ein neues Konzept um: Statt “Wer zuerst online bucht, der kriegt den schnellsten Termin” wurde nun eine Warteliste eingeführt, die dann abgearbeitet wird. Das macht den Prozess zwar nicht transparenter - aber immerhin zuverlässiger und fairer.

Fazit

Mittlerweile ist das Visum erteilt und der Vorgang abgeschlossen. Nicht zuletzt zeigte es aber, dass man als Sysadmin immer wieder kleine Aufgaben findet, bei denen man mit technischem Sachverständnis etwas erreichen kann.

Ob ich letztendlich die Schuld daran trage, dass das Verfahren geändert wurde - das werden wir nie erfahren. Aber ich bin mir fast sicher, dass meine Anfrage nach IFG dazu beigetragen hatte.

Ende vom Lied

Mittlerweile ist die Ehe in Scheidung - aber es lag zumindest nicht am Visum ;-)