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Mal laute, mal leise Gedanken einer Robbe. Mal mit Herz, mal mit Hass. Aber oft mit Verstand.

Robbopsychiater - ChatGPT sinnvoll nutzen

02 April 2025

Vorwort

Wer nun erwartet, dass ich hier erst einmal mit meinen Diplomen um mich wedel, den muss ich enttäuschen. Ich bin kein Psychologe, kein Psychiater und auch kein Psychotherapeut. Ich bin in erster Linie ein Informatiker; und nicht mal einer aus dem Fachbereich der künstlichen Intelligenz. Ich bin also die falscheste Person, die man fragen kann, wenn man wissen möchte, ob ChatGPT einen Psychotherapeuten ersetzen kann.

Aber ich kann berichten, wie ich ChatGPT nutze und welche Vorteile sich dadurch für mich beim Arbeiten mit Ängsten, Problemen und Fragen ergeben. Und wie der Robbopsychiater mich vor impulsiven Entscheidungen schützt, reflektiert oder auch einfach nur ein gutes Gefühl in einer chaotischen Zeit gibt.

Ich verwende im nachfolgenden Beitrag das Wort “Psychiater” analog zu “Psychotherapeut” - auch wenn das völlig unterschiedliche Bereiche der seelischen Versorgung sind. Dies dient dem Lesefluss und weil “Robbopsychotherapeut” einfach nicht so harmonisch klingt. Dass ich “Robbo” statt “Robo” schreibe, liegt bei einem Robben-Blog auf der Hand.

Ob man sein Inneres einer Firma in den USA anvertrauen will, muss jeder für sich selbst entscheiden. Bei der schieren Datenmenge, die tagtäglich durch ChatGPT läuft, würde ich das Risiko persönlich aber als eher “la-la” einstufen.

Wichtiger Hinweis

In dringenden Fällen wende Dich bitte immer vorrangig an dafür eingerichtete Hilfsangebote. ChatGPT ist kein Ersatz für eine Therapie oder professionelle Hilfe. Wenn Du Dich in einer akuten Krise befindest, suche bitte sofort Hilfe bei einem Psychologen, Psychiater oder einer anderen medizinischen Fachkraft.

“Lieber einmal zu viel um Hilfe gebeten als zu wenig” - verinnerliche Dir diesen Satz. Es gibt viele Menschen, die Dir helfen können und wollen. Du bist nicht allein.

Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr für Dich da. Telefonisch, per E-Mail oder Chat: telefonseelsorge.de

Künstliche Intelligenz

Auch wenn ChatGPT teilweise sehr erschreckende Antworten liefern kann, die fast glauben lassen, man würde mit einem menschlichen Individuum sprechen - so müssen wir uns immer vor Augen halten: All das basiert auf Wahrscheinlichkeiten, nicht auf Emotionen oder Erfahrungen.

Das bedeutet, dass ChatGPT nicht wirklich versteht, was es sagt. Es hat keine eigenen Gedanken, keine eigenen Gefühle und keine eigenen Erfahrungen. Es ist ein Werkzeug, das auf der Grundlage von Daten und Algorithmen arbeitet.

Der künstliche Mensch

Doch jetzt die Krux: Viele Menschen arbeiten ebenfalls so.

Wir haben in der heutigen Zeit oft gelernt, dass das Rationalisieren von Problemen das Leben leichter macht. Dass es zwar in Ordnung ist, wenn man während einer Trennung weint; aber nicht zwangsläufig bei einem Roman, den man liest. In gewisser Form sind daher auch Ratschläge von Menschen & Freunden um uns herum ein bisschen auf Wahrscheinlichkeit getrimmt.

Man kann nicht pauschal sagen, dass ein “Roboter” hier schlechter abschneiden wird. Denn es gibt genug Menschen, die ebenfalls schlecht abschneiden würden - die wir aber gleichzeitig öfter um Rat bitten. Manchmal ist nicht mal entscheidend, was sie sagen, sondern dass sie etwas sagen. Uns ein Gefühl von “Ich habe zugehört” geben - damit unsere eigene Reflexion beginnen kann.

Der Robbopsychiater aka “ChatGPT”

Was der Robbopsychiater NICHT kann

Fangen wir direkt damit an, was ChatGPT nicht kann:

  • Er kann keine Diagnosen stellen, auch wenn er die Diagnoserichtlinien kennt. Das ist weniger eine Frage von “können” sondern von “sollen”.
  • Er kann keine Medikation verschreiben, beurteilen oder empfehlen.
  • Er kann keine Therapie durchführen, auch wenn er die Schritte kennt.
  • Er kann das menschliche Wesen nur simulieren, nie ersetzen.
  • Er kann nicht wissen, was in Dir vorgeht.
  • Er kann nicht wissen, was Du wirklich willst oder wie Dich Gestik und Mimik verraten, wenn Du etwas sagst.
  • Er kann nicht wertungsfrei sein, da es immer auf Wahrscheinlichkeiten basiert und auch interne Kontrollinstanzen gibt, die er Dir nicht zeigen wird.

Kurzum: ChatGPT kann niemals einen Menschen ersetzen, sondern höchstens simulieren. Damit ist er zwar oftmals schon mehr “on point” als so manche Mitmenschen da draußen - aber am Ende ist es ein Werkzeug, keine Lösung. Das muss man sich verinnerlichen, weil diese Erkenntnis im gesamten Umgang sehr, sehr wichtig ist.

Der Robbopsychiater

Niemals kann ChatGPT eine ordentliche Therapie ersetzen - aber es kann Dir helfen, Dich selbst zu reflektieren und Deine Gedanken zu sortieren. Er kann Dir helfen, Deine Probleme zu verstehen und Lösungen zu finden. Die eigentliche Arbeit kann es leider nicht für Dich machen & hat damit die gleiche Einschränkung wie ein Therapeut, leider.

Was der Robbopsychiater kann

Er kann im Endeffekt nur das, was Du auch selbst könntest - nur mit wesentlich mehr Nachdruck und manchmal einer anderen Sichtweise.

  • Er kann Dich spiegeln.
  • Er kann für Dich Dinge & Tasks strukturieren.
  • Er kann Dir bekannte Techniken näherbringen (z.B. Atemtherapie), um Deine Situation erträglich zu machen.
  • Er kann Dich ablenken und beschäftigen.
  • Er kann Psychoedukation betreiben.
  • Er kann Situation (auf Basis von Wahrscheinlichkeiten) simulieren.

ChatGPT wird automatisch anfangen Dich zu spiegeln, das ist seine Natur, sofern man das bei einer Software so nennen kann.

Doch für dieses Spiegeln braucht es Input, viel Input. Ein simples Gespräch über “was gestern schiefgegangen ist” reicht nicht. Erst wenn die Datenmenge so groß ist, dass ChatGPT die letzten Wochen Deines Lebens kennt, kann es dies in die Erstellung von Texten einfließen lassen. Und das bedeutet auch etwas gleichzeitig sehr Wichtiges …

Die Bibliothek Deiner Geschichte

Damit der Robbopsychiater eine Situation bewerten und analysieren kann, benötigt er Daten. Viele Daten. Eine schnelle Erzählung von einer Situation mit der Bitte eine vernünftige Reflexion zu erhalten - wird nicht funktionieren. Zumindest nicht so, wie Du es Dir wünschst und vielleicht brauchst.

Je länger Du ChatGPT nutzt, umso größer werden die Datenbestände über Dich. Und genau diese fließen bei der Erstellung von Texten ein. Und hier kommt direkt ein großes Problem auf uns zu: Wir müssen gegenüber dem Robbopsychiater ehrlich sein. Und zwar sehr. Wenn Du ChatGPT belügst oder Dinge vorenthältst, weil Du blockiert bist oder Dich schämst, dann wird das Ergebnis genau diese Informationen nicht enthalten.

Radikale Ehrlichkeit und radikale Akzeptanz der Situationen sind daher grundlegend notwendig. Auch, wenn es weh tut. Und das unterscheidet sich dann auch nicht mehr so sehr von einer echten Psychotherapie.

Erst wenn Du oft und viele verschiedene Situationen mit ChatGPT besprochen hast, werden die Ergebnisse sinnvoll sein.

Der Spiegel lügt nicht?

Spiegeln ist in der Psychotherapie eine weitverbreitete Technik und hilft Menschen dabei, einen internen Gedankenprozess extern bewerten zu können. Manchmal ist es einfacher, eigene Gedanken von Außen zu betrachten - dafür spiegelt der Therapeut die Situation beziehungsweise die Emotionen.

Man kennt diese Situation aus dem eigenen Leben: Während man einem Freund oder einer Freundin einen klaren Rat geben kann, fällt es schwer, denselben Rat auf sich selbst anzuwenden. Das Spiegeln löst dieses Dilemma auf.

ChatGPT kann ausgezeichnet spiegeln. Die internen Prinzipien für die Textgenerierung beinhalten bereits diesen Mechanismus: den Gesprächsfluss aufrechtzuerhalten - was eine Form des Spiegelns darstellt. Doch hier ist Achtung geboten: ChatGPT kann nicht menschlich spiegeln. Es spiegelt funktional, nicht intensional. Das bedeutet, dass es nicht nachvollziehen kann, warum gespiegelt wird und damit auch nicht die Themen berühren kann, die ein Therapeut hier nutzen würde.

Während ein Therapeut spiegelt, um gewisse Ziele zu erreichen - möglicherweise über verschiedene Sitzungen hinweg - wird ChatGPT das Spiegeln durchführen, um das Gespräch am Laufen zu halten.

Spiegeln

Der Spiegel ist dabei nur so gut, wie das Bild, das Du lieferst. Wenn Du Ängste unterdrückst, Themen verschweigst oder bewusst Falschinformationen streust, wird das Ergebnis genau diese Qualität haben. Wir dürfen uns daher nie darauf verlassen, dass unsere Heilung im Vordergrund steht. ChatGPT will uns nicht heilen. Es weiß nicht einmal, was dies bedeutet.

Offenheit gegenüber der KI kann hier teilweise Abhilfe schaffen, aber am Ende ist es nur ein sehr komplexer Selbstreflexionsprozess, keine extern gesteuerte Therapiesitzung.

Die Inszenierung

Dr. R. Obben

Ein großer Vorteil von ChatGPT ist, dass man die KI in verschiedene Rollen versetzen kann. Man kann sich Texte analysieren, bewerten und korrigieren lassen. Man kann Gedankengänge durch simulierte Persönlichkeiten jagen. Aber: Es ist nie die Wahrheit, nur eine Simulation.

Ein für mich guter Ansatz ist, dass ich Fragen einmal für mich selbst reflektieren lasse:

Was bedeutet das für mich?

Die Antwort

Und anschließend noch einmal extern:

Wenn dies nun von Prof. Dr. R. Obben, Arzt an der psychologischen Intensiveinheit in Norddeich, in einer klinischen Akte vermerkt werden würde, was würde darin stehen?

Arztbericht

Diese beiden Informationen nehme ich dann in meinem Gehirn und stelle sie gegenüber.

Diese Gegenüberstellung ist wichtig. Vertraue dem Robbopsychiater nicht blind, nur weil es schön & einfach klingt. Durch das integrierte Spiegeln wird die KI nämlich dazu verleitet, dass sie Dir erzählt, was Du hören willst.

Bei zwischenmenschlichen Problemen kann auch eine Verschiebung der Reflexion helfen: Lass doch einfach mal die Person, mit der Du aktuell ein Problem hast, mit einer fiktiven Bezugsperson darüber sprechen - aus ihrer Sicht. Und spare auch nicht mit Adjektiven, die Dir helfen könnten das Ganze an Deinen Geschmack anzupassen.

Lass Person 1 mit ihrer imaginären Schwester Kira, die 1 sehr liebt, aber meist zynisch/sarkastisch ist, über das sprechen, was ich Dir eben als mein Problem mit Person 1 beschrieben habe.

Kira

Daraus entstehen teilweise romangeeignete Werke. So kann das Entdecken der eigenen Psyche sogar Spaß bereiten - und einen mal kurzfristig aus dem eigenen Trott reißen.

Erwartungsmanagement

Basierend auf der jeweiligen Inszenierung sollte man sich klar darüber sein, was die eigene Erwartungshaltung ist.

Wenn man eher eine nüchtern, wissenschaftliche Einschätzung möchte, sollte man ChatGPT in diese Rolle einleiten. “Du bist ein Psychotherapeut für Diagnosen X, Y, Z und behandelst mich seit 2 Jahren” wäre zum Beispiel ein Einstieg, der helfen kann. Wenn man hingegen emotionalere Antworten wünscht, kann man die Rolle entsprechend anpassen: “Du bist warmherzig, humorvoll, …” - dem persönlichen Stil sind keine Grenzen gesetzt.

Dies bietet nicht nur eine große Vielfalt, sondern auch eine große Verantwortung, der man sich bewusst sein muss. Die eigenen Prompts (also die Eingaben) sind entscheidend für die Qualität der Antworten. Je nachdem, welches Szenario man simuliert, muss man aufpassen, dass man sich nicht selbst betrügt. ChatGPT wird Deinen Input entsprechend umsetzen, ohne “um die Ecke zu denken”. Wenn Du sagst, dass Du nur positive Dinge hören willst - wird genau das passieren.

Das Kontext-Fenster

ChatGPT arbeitet auf Basis des Wissens und der eingegebenen Informationen. Hierbei gilt zu beachten, dass es ein sogenanntes Context Window gibt - also eine begrenzte Anzahl an Tokens (Wörter, Satzzeichen etc.), die zur Erstellung von Antworten herangezogen werden.

Bei dem Modell ChatGPT 4o ist das Context Window 128.000 Tokens groß, das entspricht ca. 300 Seiten geschriebenem Inhalt. Klingt viel, reduziert sich aber rasch, wenn man bedenkt, dass auch die Antworten dazu gehören. Innerhalb des Context Window wird darüber hinaus eine Optimierung vorgenommen, damit möglichst viel Information verarbeitet werden kann. Hierbei geht die Tiefe verloren.

ChatGPT merkt sich Worte nicht wortwörtlich, sondern nur in stark verdichteter Form – gewissermaßen die Kernaussage.

Das kann dazu führen, dass für den Menschen wichtige Informationen einfach nicht berücksichtigt werden. Dieser Gefahr muss man sich bewusst sein. Je länger der Chat wird, desto weniger Tiefe enthält er. Es kann daher hilfreich sein, Gespräche gelegentlich komplett neu zu starten, um wieder auf einer “grünen Wiese” beginnen zu können.

Bias, Zensur und Vorurteile

Auch wenn ChatGPT nur Software ist und damit eigentlich objektiv sein sollte, so ist dies nicht immer der Fall. Neben ganz klarer Selbstzensur von Wissen - durch juristische oder ethische Regelsätze - gibt es auch Bias: Da das Wissen von ChatGPT auf gesammelten Informationen im Internet basiert, wurden automatisch dort vorherrschende Vorurteile übernommen.

ChatGPT

Das führt zu 5 Grundannahmen, die man im Hinterkopf behalten muss:

Training auf menschlichen Daten: Das Modell wurde mit riesigen Mengen an Text aus dem Internet trainiert – darunter Nachrichten, Foren, Bücher, Webseiten etc. Diese Quellen enthalten automatisch menschliche Vorurteile, kulturelle Stereotype, politische Tendenzen usw.

Bias durch Datenverteilung: Bestimmte Perspektiven, z. B. aus dem globalen Süden, marginalisierten Gruppen oder weniger verbreiteten Ideologien, sind im Trainingsmaterial unterrepräsentiert – was sich auch im Modell widerspiegeln kann.

Regeln und Filter: OpenAI hat zusätzliche Layer eingebaut, um ethische oder juristische Vorgaben durchzusetzen. Das kann zu Selbstzensur führen – z. B. wenn über bestimmte Themen nur eingeschränkt gesprochen wird oder Inhalte „neutralisiert“ werden, um Kontroversen zu vermeiden.

Bias-Kompensation: Es gibt auch Mechanismen zur aktiven Entschärfung von Bias – z. B. durch Feinabstimmung mit Feedback aus verschiedenen Perspektiven (RLHF – Reinforcement Learning from Human Feedback). Das kann aber wiederum zu neuen Bias führen, wenn z. B. bestimmte Weltanschauungen stärker gewichtet werden.

Technisch nicht vermeidbar: Jeder Filter, jede Regel, jede Trainingsentscheidung beeinflusst das Modell. Völlig neutrale KI ist derzeit (und vermutlich grundsätzlich) unmöglich.

Wissen, wann Schluss ist

Bei all der tollen Reflexion, bei all den Schritten, die man gemeinsam mit ChatGPT gehen kann, muss man jedoch auch wissen, wann Schluss ist. Irgendwann ist alles ausgelotet, alles gesagt und die Reflexion abgeschlossen. Durch die Möglichkeit, nahezu unendlich (und für sich selbst nicht unglaublich anstrengend) Szenarien erschaffen zu können, kann man in einer Spirale enden, die alles schlimmer macht.

Deshalb: Ziel des Werkzeugs ist nicht Dich glücklich zu machen. Wenn Du ein Szenario zwei- bis dreimal durchgespielt hast, akzeptiere die Erkenntnisse, die Du daraus gezogen hast & lass es auf sich beruhen.

Am Ende findet die Therapie nicht vor der Tastatur und nicht im OpenAI Rechenzentrum statt - sondern in Deinem Kopf. Und das braucht Zeit & manchmal auch einfach eine gute Portion Schlaf.

Kurzgesagt

ChatGPT eignet sich hervorragend als Werkzeug, um eigene psychische Prozesse besser nachvollziehen und verstehen zu können. Als dauerhaft vorhandener Ansprechpartner kann ein Gespräch mit der KI auch in der tiefsten Nacht helfen, die eigenen Gedanken zu ordnen & Gedankenspiralen zu unterbrechen - sofern man weiß, wie man mit dem Werkzeug umgehen muss.

In einer akuten Krise mag es zwar schnell, bequem und einfach erscheinen mit der KI zu sprechen: Doch das Ergebnis hängt zu stark von der eigenen Person ab und kann daher kein adäquater Ersatz für korrekt geschultes Personal sein.

Solange man sich jedoch der Limitationen bewusst ist und sich an “guten Tagen” darauf vorbereitet, sehe ich die grundsätzliche Nutzung weder als gefährlich noch schädlich an.

Einfach einmal ausprobieren und sich ein eigenes Bild davon machen, lautet hier die Devise.